Worpswede und sein Kunsthandwerk
In seinen bedeutendsten künstlerischen Persönlichkeiten wie Heinrich Vogeler hat Worpswede bereits um die Wende vom 19. ins 20.Jahrhundert seine Fähigkeit gezeigt, aus der Exklusivität eines Künstlerdaseins, wie man es hier zunächst suchte und bewahren wollte, auszubrechen und sich den Realitäten des Lebens anzupassen. Nicht aus künstlerischem Eigensinn, sondern aus der Erwartung heraus, wirken zu können. Vogelers Entwicklung vom prätentiösen Jugendstilzeichner zu einem nach bewährtem bäuerlichem Rezept arbeitenden Möbelgestalter oder auch Architekten zeichnete exemplarisch den Weg vor, den Worpswede ging - und vielleicht gehen musste, um als Künstlerdorf - oder besser: als Ort einer Künstlergemeinschaft – in Relation zu vergleichbaren Orten in Deutschland zu überleben:
Die Neubelebung der angewandten Kunst, für die Gründungen wie des „Deutschen Werkbundes“ 1907 in München und des „Staatlichen Bauhauses“ 1919 in Weimar exemplarisch genannt sein mögen, hat Worpswede lebhaft mitgetragen und ist spätestens nach Ende des Ersten Weltkrieges ein Ort auch des künstlerischen Handwerks geworden. Die Gründung eines Kunstgewerbehauses durch Heinrich Vogeler, die Einrichtung einer „Raumkunstwerkstatt“ des 1883 in Berlin geborenen Keramikers Fritz Blau und schließlich Bernhard Hoetgers Mitte der zwanziger Jahre am Fuße des Weyerbergs entstandene „Kunsthütten“ waren Teile eines umfassenden Programms zur Etablierung der angewandten Kunst in einem Malerdorf und hatten auch die Ansiedlung hochwertiger Kunsthandwerker zur Folge. Wilhelm Wagenfeld lebte hier Anfang der zwanziger Jahre und trat anschließend seine Ausbildung am Weimarer Bauhaus an, die ihn zu einem der wichtigsten Formgestalter im 20. Jahrhundert werden ließ. Jan Bontjes van Beek, Otto Meier und Willi Ohler waren Ausnahmekeramiker, die ohne Worpswede und ohne das Worpswede nicht zu denken ist.
Otto Meier, 1903 in Dortmund geboren und 1925 zu Hoetger an die „Kunsthütten“ gekommen - und dort erst zum Keramiker geworden -, hat bis ans Ende des 20.Jahrhunderts das große Vermächtnis hochwertiger angewandter Kunst weitergetragen, dem sich immer wieder jüngere Berufskollegen anschlossen. Und immer wieder konnten auch die freien Künstler der Versuchung nicht widerstehen, sich in den Bereichen der angewandten Kunst zu betätigen - mit mehr oder minder großem Erfolg. Angewandte Kunst und Kunsthandwerk waren und sind für Worpswede nicht nur künstlerische, sondern vor allem auch wirtschaftliche Faktoren.
„Worpswede“, schrieb die Schriftstellerin Eugenie von Garvens 1927 weitsichtig, „ist ein Ort, in dem gutes Handwerk, selbst industriell betrieben, eher guten Absatz finden kann als in den Städten.“
So hat der Ort mit dem Kunsthandwerk eine eigene, eine bedeutende und hochwertige Tradition vorzuzeigen, die ihn von allen anderen Künstlerorten dieses Landes unterscheidet.
© Dr. Bernd Küster, 2021